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Werner, Micha H. (2000):

Zur (diskurs-)ethischen Anwendungskontroverse

Vorbereitende Überlegungen, den Sinn der Rede von Anwendungsproblemen in der normativen Ethik betreffend.

Veränderte Fassung. Originalversion erschienen in: Burckhardt, Hoger; Gronke, Horst und Brune, Peter (Hg.): Die Idee des Diskurses: Interdisziplinäre Annäherungen. Markt Schwaben: Eusl, S. 77-99.




Inhalt






Philosophische Diskussionen sind oft dadurch gekennzeichnet, dass nicht erst die adäquate Lösungsstrategie, sondern bereits der Sinn der Problemstellung kontrovers ist. Dies trifft auch auf die Diskussion um das sogenannte Anwendungsproblem in der normativen Ethik zu. Welche Bedeutung diesem Begriff beigelegt werden kann, ist durchaus umstritten. Das Spektrum der vertretenen Positionen reicht bis zu der Ansicht, dass es ein moralphilosophisches Anwendungsproblem – jenseits des Begründungsproblems – weder gebe noch geben könne.

Von dieser Uneinigkeit ist auch die Diskursethik nicht verschont geblieben. Während die Diskussionslage in Bezug auf die Begründungsproblematik noch relativ übersichtlich scheint [Anm. 1] – der transzendentalpragmatischen Konzeption einer strikt dialogreflexiven Letztbegründung steht hier das universalpragmatische Selbstverständnis einer nur ‚schwach’ transzendentalen Rekonstruktion moralischer Urteilskompetenzen und moralisch imprägnierter Institutionen gegenüber – ist die Kontroverse über das sogenannte Anwendungsproblem noch um einiges unübersichtlicher.

Obwohl es auch hier innerhalb der beiden Hauptströmungen Familienähnlichkeiten gibt, ist doch insgesamt eine größere Vielfalt an Vorschlägen zu konstatieren. Zwischen den Anwendungskonzeptionen von Karl-Otto Apel, Dietrich Böhler, Wolfgang Kuhlmann, Horst Gronke, Matthias Kettner, Adela Cortina und Marcel Niquet [Anm. 2] sowie Jürgen Habermas, Klaus Günther, Robert Alexy, Konrad Ott, Niels Gottschalk oder Lutz Wingert [Anm. 3], um nur einige zu nennen, gibt es auch Kreuzungen, innerkonzeptuelle Dissense und Analogien über die Strömungsgrenzen hinweg. Und es gibt überdies diskursethische Positionen, die sich in nahezu gleich großer Distanz zu den formal- wie zu den transzendentalpragmatischen Anwendungsvorschlägen befinden, wie etwa diejenigen Peter Ulrichs und Ulrich Thielemanns [Anm. 4]. Diese gehören zugleich zu den entschiedensten Kritikern der Rede von Anwendungsproblemen in der normativen Ethik [Anm. 5].

An anderer Stelle möchte ich versuchen, die diskursethische Anwendungsdiskussion zu rekonstruieren und eine eigene Position bezüglich der dort umstrittenen Probleme zu entwickeln. Der vorliegende Text hat demgegenüber nur vorbereitenden Charakter. Er dient einer vorsichtigen Klärung des Vorverständnisses, das mit der Rede von Anwendungsproblemen verbunden wird. Dabei werde ich zunächst zwei verschiedene Bedeutungen des Begriffs ‚Anwendung’ unterscheiden, von denen der eine, ‚instrumentelle’ Anwendungsbegriff im Kontext der normativen Ethik von minderer Bedeutung ist (1). In einem zweiten Schritt werde ich versuchen, auf der Basis des anderen, nicht-instrumentellen Anwendungsbegriffs eine Arbeitsdefinition des normativ-ethischen ‚Anwendungsproblems’ zu formulieren. Diese Arbeitsdefinition ist so weit gewählt, dass sich die wichtigsten der tatsächlich diskutierten Konzeptionen damit in Einklang bringen lassen; ihre verbleibenden Schwierigkeiten und Interpretationsspielräume werden in sechs Punkten knapp umrissen (2). Im Anschluss werde ich vier verschiedene Möglichkeiten unterscheiden, diese Spielräume zu füllen. In diesen vier Deutungen des Anwendungsproblems sind – in starker Typisierung – bereits einige Elemente der verschiedenen in der diskursethischen Diskussion vorgeschlagenen Konzeptionen erkennbar (3). In einem Ausblick werde ich schließlich einige tentative Bemerkungen über Probleme der prominentesten in der Diskussion befindlichen diskursethischen Anwendungskonzeptionen machen (4).


Zum Anfang1. Der Sinn der Rede von ‚Anwendung’ in der normativen Ethik

Zum Anfang1.1 Technizistische Konnotationen des Anwendungsbegriffs

Unbehagen erzeugt die Rede von ‚Anwendung’ im moralphilosophischen Kontext vor allem wegen der vermuteten "technizistischen Implikationen"[Anm. 6] des Anwendungsbegriffs. Alltagssprachlich tritt dieser Begriff meist im Kontext des instrumentellen und strategischen Handelns auf. "X anwenden" bedeutet hier ungefähr "X als Mittel (zur Erreichung eines Zwecks) heranziehen". Zunächst scheint eine entsprechende Deutung auch des moralphilosophischen Anwendungsbegriffs nicht abwegig. Denn der Anwendungsbegriff wird auch in wissenschaftspragmatischen Zusammenhängen im instrumentellen Sinn gebraucht, nämlich in der Rede von angewandter Forschung im Gegensatz zur Grundlagenforschung. Die Aufgabe angewandter Forschung liegt ja (idealtypisch beschrieben) darin, Erträge der Grundlagenforschung – in Gestalt nomologischen Wissens von der Form "Wenn A, dann (unter Randbedingungen p,q,r; mit Wahrscheinlichkeit x) B" – für die Beantwortung instrumentell-technischer Fragestellungen ("Wie kann B möglichst effizient verwirklicht werden?") nutzbar zu machen. Es ist also zwar nicht die Funktion angewandter Forschung, selbst die Erträge der Grundlagenforschung im instrumentellen Sinne ‚anzuwenden’. Aber sie zielt darauf, aufbauend auf den Erträgen der Grundlagenforschung, ein Wissen zu erarbeiten, das seinerseits instrumentell anwendbar ist.

Wenn hier von einer ‚instrumentellen Anwendbarkeit’ von Wissen gesprochen wird, ist das allerdings insofern nicht unproblematisch, als die Anwendung von Wissen grundsätzlich anderer Natur ist als etwa die Anwendung eines technischen Artefakts. Genau genommen setzt die Möglichkeit einer instrumentellen Anwendung von Wissen bereits die Möglichkeit einer anderen, nicht-instrumentellen Art der ‚Anwendung’ voraus (hierzu weiter unten).

Nun haben sich auch innerhalb der normativen Ethik inzwischen problemspezifische Subdisziplinen ausdifferenziert, die üblicherweise unter dem Oberbegriff angewandte Ethik zusammengefasst werden. Insofern liegt es nahe, die Aufgabe dieser Subdisziplinen in Analogie zu anderen Feldern angewandter Forschung zu setzen. Auch die angewandte Ethik, so könnte man demgemäß vermuten, hat zum Ziel, die Lösung praktischer Probleme zu ermöglichen, indem sie das von der allgemeinen Ethik erarbeitete Wissen (d.h. offenbar: die in der allgemeinen Ethik begründeten moralischen Präskriptionen) anwendbar macht.

So formuliert ist diese Vermutung vielleicht nicht einmal falsch. Sie verdeckt jedoch die Unterschiede in der Natur der jeweils zu lösenden praktischen Probleme ebenso wie die Unterschiede zwischen dem nomologischen Wissen der Naturwissenschaften und denjenigen moralischen Präskriptionen, deren Begründung das Kardinalproblem normativer Ethik darstellt. Und damit verdeckt sie auch die Differenzen zwischen der Anwendung naturwissenschaftlicher und der ‚Anwendung’ (sit venia verbo) moralischer Wissensbestände. Bei den Problemen, deren Lösung normative Ethik leisten soll, handelt es sich nämlich nicht um Probleme technisch- oder strategisch-instrumenteller Art, sondern um Orientierungs- bzw. Legitimationsprobleme. Normative Ethik sucht nicht eine Antwort auf die Frage, wie wir bei gegebener allgemeiner Handlungsorientierung, unsere vorausgesetzten Handlungsziele planmäßig und effizient erreichen können; sie geht vielmehr der Frage nach, woran (an welchen Prinzipien, Normen oder Zielen) wir unser Handeln überhaupt orientieren sollen bzw. welche Handlungsorientierung moralisch rechtfertigbar ist, ohne dass wir vorab bereits bestehende Zielorientierungen, Präferenzen oder Handlungsmotivationen ungeprüft als für uns maßgeblich, verbindlich oder legitim akzeptieren dürften. Mit anderen Worten: Die Frage "Was sollen wir tun?" hat, wenn wir sie im moralischen Sinn verstehen, einen unbedingten oder absoluten Sinn: "Was sollen wir überhaupt tun?" Wenn wir sie hingegen im technisch-instrumentellen Sinn verstehen, handelt es sich um eine bedingte oder relative Fragestellung, d.h. bedingt durch oder relativ auf eine vorgängige Zielorientierung: "Was sollen wir tun, um x zu erreichen?" bzw. "Was sollen wir tun, wenn wir x erreichen wollen"[Anm. 7].

Wenn es normativer Ethik nun nicht um die Lösung von technischen, sondern von Orientierungs- bzw. Legitimationsfragen geht, können die moralphilosophischen Anwendungsprobleme wohl doch nicht denjenigen Problemen analog sein, mit denen sich die angewandte Forschung im Bereich der Naturwissenschaften beschäftigt; ja, dann ist schwer zu sehen, wie das moralphilosophische Anwendungsproblem unter Zugrundelegung des "technizistischen" Anwendungsbegriffs überhaupt verstanden werden kann.

Zum gleichen Ergebnis gelangt man, wenn man statt der Natur moralischer Fragen das Wesen der gesuchten Antworten betrachtet. Akzeptiert man Kants Auffassung, dass das Spezifikum moralischer Sollgeltung in ihrer unbedingten Verbindlichkeit liegt, so impliziert dies, dass moralisch-präskriptive Normen gegenüber allen anderen Handlungsorientierungen (z.B. gegenüber der subjektiven Valenz vormoralischer Interessen oder Präferenzen, die durch die Befolgung dieser Normen beeinträchtigt oder befördert werden mögen) Priorität genießen: "Gegenüber anderen Handlungsvorschriften ist es für moralische Normen charakteristisch, dass sie einen bestimmten Status beanspruchen. Zumindest tendenziell verbindet sich mit moralischen Normen der Anspruch der Vorrangigkeit gegenüber allen anderen [...] handlungsleitenden Gesichtspunkten"[Anm. 8]. Diese Intuition, dass mit dem moral point of view der unübersteigbar höchste Punkt jeder praktischen Beurteilung erreicht ist, reicht weit hinter Kant zurück und wird bereits von Seneca relativ klar zum Ausdruck gebracht [Anm. 9]. Das bedeutet: Moralische Präskriptionen (bzw. auch ethische Konzeptionen in toto) dürfen keinesfalls instrumentell in primär subjektiv-interessengeleitete Handlungspläne eingebettet sein, wenn sie nicht ihren eigentümlichen normativ-moralischen Geltungssinn verlieren bzw. in ihrem spezifisch moralischen Charakter pervertiert werden sollen [Anm. 10]. Dieses ‚Instrumentalisierungsverbot’ gilt natürlich umgekehrt nicht: Instrumentell, vermutlich auch strategisch orientierte Handlungssequenzen können unter Umständen Bestandteil ethisch legitimer Handlungspläne sein – müssen dies vermutlich vielfach sogar [Anm. 11]. Moralische Normen sind geradezu dadurch definiert, dass sie Normen aller anderen Kategorien legitimerweise zu instrumentalisieren vermögen, nicht aber umgekehrt von ihnen instrumentalisiert werden dürfen [Anm. 12] – dies gilt jedenfalls, solange man am Vorrang des Rechten vor dem Guten festhält.

Die "technizistischen" Konnotationen des Anwendungsbegriffs scheinen auch für Peter Ulrichs und Ulrich Thielemanns Kritik an der Rede von einem moralphilosophischen Anwendungsproblem maßgeblich zu sein. So betont Ulrich, "Vernunftethik" biete "kritisch-normatives Orientierungswissen, nicht «anwendbares» Verfügungswissen – sie ist keine Sozialtechnik für gute Zwecke" [Anm. 13].

Nun könnte gegen die bisherigen Überlegungen eingewandt werden, ihnen liege ein unnötig enger Begriff normativer Ethik zugrunde. Zwar sei es richtig, dass deren Ziel in der Lösung von Orientierungs- bzw. Legitimationsproblemen bestehe. Aber innerhalb der komplexen Überlegungen, mittels derer die Ethik diese Probleme zu lösen suche, bestehe die Aufgabe keineswegs überall – vielleicht überhaupt nicht notwendigerweise – in einer schlechthin voraussetzungslosen Bestimmung von Handlungsorientierungen, wie dies durch die Rede von dem ‚absoluten’ Sinn der moralischen Fragestellung nahegelegt wurde. Dieser Einwand kann mehr oder weniger radikal formuliert werden. Die vorsichtigere Variante akzeptiert zwar die These, dass normativ-ethische Probleme nicht vollständig im Rahmen der technisch-instrumentellen Rationalität gelöst werden können. Sie verweist aber darauf, dass wenigstens in all denjenigen normativ-ethischen Konzeptionen, die konsequentialistische Elemente beinhalten [Anm. 14], zur Begründung situationsspezifischer Orientierungs- oder Legitimationskriterien zweckrationale Überlegungen angestellt werden müssen.

Die radikalere Variante erklärt den oben formulierten Absolutheits- und Unbedingtheitsanspruch moralischer Präskriptionen grundsätzlich für überzogen und unnötig. In Wahrheit sei es unabdingbar, bestimmte vormoralische Handlungsorientierungen im Rahmen ethischer Begründungsbemühungen als ihrerseits nicht mehr zu hinterfragende ‚Voraussetzungen‘ zu akzeptieren. Für diese Auffassung spricht insbesondere die weitverbreitete Überzeugung, dass eine rationale Begründung ‚unbedingter’ Präskriptionen – Präskriptionen also, welche die Form ‚kategorischer Imperative’ haben [Anm. 15] – unmöglich sei [Anm. 16]. Aus dieser Überzeugung folgt eine begründungstheoretische Konsequenz, die Dirk Hartmann und Peter Janich in dem Allgemeinspruch auf den Punkt bringen: "Von nichts kommt eben nichts"[Anm. 17]. Und dies hat wiederum zur Folge, dass normative Ethik vollständig innerhalb der Grenzen der Zweckrationalität konzipiert werden muss. Moralische Präskriptionen müssen dann eben doch als Antwort auf eine instrumentelle Fragestellung verstanden werden, beispielsweise als Antwort auf die Frage: "Welchen Regeln müssen wir folgen, um ein friedliches Zusammenleben der Gemeinschaft sicherzustellen?" oder "Was muss eine Person tun, um ihre Selbstachtung nicht zu verlieren?", während der Anspruch, auch noch die hierbei vorausgesetzten Ziele (friedliches Gemeinschaftsleben, Selbstachtung) zu rechtfertigen, mit Hinweis auf deren Selbstverständlichkeit, allgemeine Akzeptanz o.ä. abgewiesen werden muss. Ethische Konzeptionen, die so verfahren, kann man als ‚instrumentalistisch’ bezeichnen [Anm. 18]. Welche Deutung lässt sich der Rede von einem normativ-ethischen Anwendungsproblem geben, wenn man eine der zuletzt genannten Varianten normativer Ethik zugrundelegt?

Für (partiell) konsequentialistische Ethiken ist folgende Interpretation naheliegend: Während das ethische Begründungsproblem in der Aufgabe besteht nachzuweisen, dass die Verwirklichung eines bestimmten Handlungsziels moralisch geboten ist, besteht das Anwendungsproblem darin, Strategien zu erarbeiten, die – innerhalb bestimmter Handlungssituationen – zur Verwirklichung dieses Ziels beitragen. Diese Arbeitsteilung lässt sich trivialerweise durch einen praktischen Syllogismus illustrieren: Prämisse 1: "Du sollst Dein Handeln am Ziel Z orientieren!" Prämisse 2: "Wenn Du in Situation S auf Z hinarbeiten willst, musst Du Handlungsplan H befolgen!" Conclusio: "In S sollst Du H befolgen!" In der Begründung der Prämisse 1 hätte man demnach das Begründungsproblem, in der Begründung von Prämisse 2 das Anwendungsproblem zu sehen.

Diese terminologische Festlegung wäre zunächst, was die Architektonik kognitivistischer Ethiken angeht, insofern ausgesprochen ‚harmlos’, als es sich auch beim sogenannten Anwendungsproblem um ein Problem der Begründung praktischer Regeln handeln würde. In welchem Sinn ist innerhalb einer solchen Deutung des Anwendungsproblems von ‚Anwendung’ die Rede und was ist es, was in diesem Sinne angewendet oder dessen Anwendbarkeit hergestellt wird?

Klar ist, dass durch Prämisse 2 eine (instrumentell verstandene) Anwendung bestimmter Mittel (Strategien, Verhaltensweisen, technischer Artefakte) nahegelegt wird – eine praktische Regel vom Typ der Empfehlung, aus der durch Hinzunahme der normativ gehaltvollen Prämisse 1 eine moralische Präskription abgeleitet werden soll. Grundsätzlich anders als im Fall der ‚angewandten’ Naturwissenschaft kann aber die Lösung des Begründungsproblems (die Begründung praktischer Regeln vom Typ der Prämisse 2) nicht zugleich als instrumentelle Anwendung der ‚Erträge der Grundlagenforschung’ (also der Präskriptionen vom Typ der Prämisse 1) angesehen werden. Vielmehr stammt offenbar dasjenige Wissen, dessen instrumentelle ‚Anwendbarkeit’ im Rahmen von Prämisse 2 nutzbar gemacht wird, aus einem anderen Bereich, nämlich aus dem Bereich der Natur- und Sozialwissenschaften. Diese Deutung des ‚Anwendungsproblems’ scheint also auch noch in einem zweiten Sinn ‚harmlos’ zu sein: Im Grunde handelt es sich gar nicht um ein spezifisch normativ-ethisches Problem, sondern um dasselbe Problem, das sich auch sonst im Zusammenhang mit der Anwendung natur- oder sozialwissenschaftlichen Wissens stellt – es dringt gleichsam ‚von außen’ und nur so weit in die normative Ethik ein, als diese auf natur- oder sozialwissenschaftliches Hilfswissen angewiesen ist.

Etwas anders stellt sich die Situation im Rahmen instrumentalistischer Ethiken dar. Hier kommen Prämisse 1 entsprechende Präskriptionen nicht mehr vor. An ihre Stelle treten letztlich Aussagen über faktische Handlungsorientierungen (alle Menschen streben nach Selbstachtung, wollen in Frieden leben, etc.), woraus sich freilich die Notwendigkeit ergibt, ein derartiges Begründungsmodell gegen den Vorwurf einer ‚naturalistic fallacy‘ zu verteidigen [Anm. 19]. Es ist nicht leicht zu sagen, welcher Sinn der Rede von normativ-ethischen Anwendungsproblemen im Rahmen instrumentalistischer Ethiken beigelegt werden könnte, da sich diese in gewisser Weise vollständig als ‚angewandte‘ Subdisziplin empirischer Forschung (z.B. der Anthropologie, Psychologie oder Soziologie) verstehen lassen. Es scheint daher, dass hier kaum sinnvoll von einem normativ-ethischen Anwendungsproblem (als Komplement eines Begründungsproblems) gesprochen werden kann.

Zum Anfang1.2 Anwendung als Normapplikation bzw. Regelfolgen

Dem instrumentellen Sinn von Anwendung als Verfügung über technisch-instrumentelle Mittel zur Zielerreichung steht freilich eine zweite Bedeutung des Anwendungsbegriffs gegenüber. Diese steht alltagssprachlich z.B. im Vordergrund, wo wir von der Anwendung (oder auch von der Verwendung oder vom Gebrauch) von Begriffen sprechen. Anwendung wird in diesem Fall als Applikation verstanden, als eine Tätigkeit nicht der Mittelverwendung, sondern der Vermittlung, die zwischen dem Allgemeinen (zum Beispiel eines Begriffs, einer präskriptiven Norm oder ganz allgemein einer Regel) und dem Besonderen (zum Beispiel einer konkreten historischen Situation, einem bestimmten ‚Gegenstand’, Geschehen oder Ereignis) eine Brücke schlägt. Während der mit der instrumentellen Anwendung – z. B. eines technischen Verfahrens – erhobene (Effizienz-) Geltungsanspruch durch das Erreichen des intendierten Handlungsziels eingelöst wird, richtet sich der Geltungsanspruch einer nicht-instrumentellen Anwendung (zum Beispiel des Gebrauchs eines Begriffs zur Deutung von ‚etwas als etwas’, die Ausführung eines bestimmten Spielzugs oder die Interpretation eines Gesetzestextes) auf die Richtigkeit der jeweiligen Begriffs- bzw. Regelauslegung.

Wenn wir diesen Begriff von ‚Anwendung’ heranziehen, wird klar, inwiefern die oben nur unter Vorbehalt akzeptierte Rede von einer instrumentell verstandenen ‚Anwendung’ von Wissen zu ungenau war. Die instrumentelle Anwendung von Wissen ist mit der applikativen Anwendung dieses Wissens verschränkt. Instrumentell anwendbar ist Wissen – zum Beispiel eine praktische Regel von der Form eines hypothetischen Imperativs – insofern, als ihre applikative Anwendung zu einer Handlungsweise führt, die zur Verwirklichung eines angezielten Zustandes beiträgt. Genau genommen beinhaltet die zuvor ‚instrumentell’ genannte Anwendung von Wissen also sozusagen zwei Anwendungen, die man – analytisch – unterscheiden sollte: Zum einen die applikative Anwendung der jeweiligen Regel, zum anderen die instrumentelle Anwendung der regelgemäßen Handlungsweise (die man auch als ‚Technik’ bezeichnen könnte) zur Erreichung des jeweiligen Handlungsziels.

Wenn man Anwendung im Sinne von Vermittlung versteht, lässt sich der Rede vom moralphilosophischen Anwendungsproblem eher ein guter Sinn abgewinnen. Mit dieser Rede ist dann die Frage angezielt, wie zwischen generalisierenden, ‚abstrakten‘ moralischen Präskriptionen und der konkreten Handlungssituation vermittelt werden kann – eine Frage, deren Lösung traditionell an die Urteilskraft delegiert wurde. Zweifellos ist es primär diese Deutung des Anwendungsbegriffs, die für die Diskussion über das normativ-ethische Anwendungsproblem von Bedeutung ist. Das schließt jedoch nicht aus, dass auch die ‚instrumentelle‘ Bedeutung in manchen Anwendungskonzeptionen eine Rolle spielt.


Zum Anfang2. Allgemeiner Vorbegriff des moralphilosophischen Anwendungsproblems

Aber auch dann, wenn man ‚Anwendung‘ in der zuletzt skizzierten Bedeutung versteht und damit das moralphilosophische ‚Anwendungsproblem‘ in den Kontext der traditionellen Diskussion über Urteilskraft [Anm. 20], der neueren hermeneutischen Diskussion um die Applikation im Verstehen [Anm. 21] und der pragmatischen Diskussion um die Problematik des Regelfolgens [Anm. 22] stellt, ergeben sich beim Versuch, das Anwendungsproblem zu verstehen, einige Komplikationen:

Zum einen soll dieses Problem ja nicht als ein moralisches, sondern als ein moralphilosophisches Problem verstanden werden; es kann also nicht, wie eine wörtliche Interpretation nahe legen würde, schon auf der praktischen, sondern muss noch auf der ‚theoretischen’ – oder besser: philosophisch-praxisreflexiven – Ebene angesiedelt sein. Die Auflösung des Anwendungsproblems besteht ja offenbar nicht darin, dass die Moralphilosophin bzw. der Moralphilosoph eine moralische Norm selbst in dem Sinne anwendet dass sie bzw. er in einer bestimmten Situation in der durch die betreffende Norm vorgeschriebenen Weise handelt – dies könnte lediglich eine exemplarisch-illustrative Funktion erfüllen.

Eine methodische Reflexion auf die Tätigkeit der Urteilskraft, der Applikation und des Regelfolgens sieht sich jedoch der Frage ausgesetzt, inwieweit ihr ‚Gegenstand’ überhaupt theoretisch fassbar ist. Diese Frage stellt sich deshalb, weil Theoretisierbarkeit prinzipiell eine gewisse Verallgemeinerbarkeit voraussetzt, der ‚Gegenstand’ der methodischen Reflexion, die ‚Anwendung’ z.B. einer präskriptiven Norm, jedoch offenbar in dem Bereich zwischen dem Allgemeinen, nämlich der präskriptiven Norm, und dem (schlechthin?) Einmaligen, nämlich dem concretum der jeweiligen Handlungssituation, angesiedelt ist.

Zum anderen darf die Beschäftigung mit dem Anwendungsproblem im Rahmen der moralphilosophischen Diskussion auch nicht als eine rein theoretische, sozusagen kontemplative Angelegenheit betrachtet werden. Vielmehr muss sie als einem praktischen Vernunftinteresse verpflichtet gedacht werden können. Sonst wäre unverständlich, inwiefern das Anwendungsproblem als ein Problem der normativen Ethik zu verstehen sein sollte und nicht vielmehr als ein Problem der Handlungstheorie, der deskriptiven Ethik oder allenfalls der Metaethik begriffen werden müsste. Wenn aber das Anwendungsproblem als ein Problem der normativen Ethik verstanden werden soll, kann es – anders als die hermeneutische Applikationsthematik und die sprachpragmatische und handlungstheoretische Diskussion über ‚Regelfolgen’ – nicht (nur) die Frage betreffen, "wie überhaupt" präskriptive Gehalte für faktisches Handeln orientierungsrelevant werden können. Das Anwendungsproblem als ein Problem innerhalb der normativen Ethik muss sich auch auf eine moralisch-praktische Frage beziehen.

Wie aber lautet genau diese Frage? Das ist, wie mir scheint, gar nicht so leicht anzugeben. Ich möchte daher zunächst eine einigermaßen offene Arbeitsdefinition des Anwendungsproblems vorschlagen, diese Definition dann durch sechs Bemerkungen erläutern und daraufhin tentativ vier verschiedene Möglichkeiten vorschlagen, die verbleibenden Unklarheiten dieser Definition weiter zu verringern. In diesen vier Deutungen werden partiell bereits Grundzüge einzelner diskursethischer Anwendungskonzeptionen zu erkennen sein.

Die Arbeitsdefinition, die ich vorschlagen möchte, lautet folgendermaßen:

Das moralphilosophische Anwendungsproblem besteht darin, die ‚Anwendbarkeit’ (im nicht-instrumentellen Sinn) von Präskriptionen, die Bestandteil einer normativ-ethischen Konzeption sind, zu gewährleisten oder zu erleichtern.

Zu dieser Formulierung zunächst sechs Bemerkungen:

Erstens bezeichnet der Terminus ‚Anwendungsproblem’ dieser Formulierung zufolge nicht ein spezielles Problem der sogenannten 'angewandten Ethik' [Anm. 23], sondern ein grundlegenderes moralphilosophisches Problem, das sich bereits im Rahmen der allgemeinen Ethik stellt.

Zweitens lässt die Formulierung offen, ob es sich bei den ‚Präskriptionen’, deren Anwendbarkeit in Frage steht, um Moralprinzipien, ‚mittlere Prinzipien’, Maximen, Normen oder situationsspezifische Regeln handelt. Diese Offenheit ist der einzige Grund der Verwendung des terminologisch weniger vorbelasteten Begriffs ‚Präskriptionen’.

Drittens lässt die Formulierung offen, ob das Anwendungsproblem darin besteht, die Anwendbarkeit aller Präskriptionen, die Bestandteil der normativen Ethik sind, oder nur die Anwendbarkeit einiger dieser Präskriptionen zu gewährleisten oder zu erleichtern.

Viertens besagt die Formulierung, dass sich das Anwendungsproblem einer normativen Ethik nicht auf die Gewährleistung der Anwendung, sondern nur auf die Gewährleistung der Anwendbarkeit ihrer Präskriptionen bezieht. Dadurch wird der Tatsache Rechnung getragen, dass normative Ethik an den freien Willen der moralischen Akteure appelliert, und daher die Befolgung ihrer Präskriptionen niemals garantieren, sondern nur als eine universal vernünftige Handlungsweise normativ einfordern (dadurch unter Umständen freilich auch motivational anregen) kann.

Fünftens ist die gewählte Formulierung in einem ganz entscheidenden Punkt unklar: Ist mit der ‚Anwendbarkeit’ einer moralischen Präskription lediglich – in einer sozusagen empiristischen Deutung – die faktische Möglichkeit gemeint, dass Akteure sich in ihrem Handeln an den Präskriptionen orientieren? Oder handelt es sich beim Begriff der Anwendbarkeit moralischer Präskriptionen vielmehr selbst um ein normativ-moralisches Konstrukt, das in etwa so viel bedeutet beispielsweise ‚Angemessenheit’, ‚Verantwortbarkeit’, ‚Zumutbarkeit’ etc.?

Sechstens provoziert diese Formulierung folgenden Einwand, der im vorliegenden Zusammenhang ebenfalls von entscheidender Bedeutung ist: Müssen Präskriptionen, die "Bestandteile einer normativ-ethischen Konzeption" sind, nicht immer schon ‚anwendbar’ sein? Gehört die ‚Anwendbarkeit’ nicht unabtrennbar zu ihrer normativ-ethischen Verbindlichkeit hinzu, wie es durch Kants berühmtes Diktum "Du kannst, denn Du sollst" ebenso wie schon durch Formel des römischen Rechts "ultra posse nemo est obligatur" nahegelegt wird? Anders ausgedrückt: Sind nicht die Grenzen der Gültigkeit moralischer Verpflichtungen mit den Grenzen ihrer Anwendbarkeit identisch?


Zum Anfang3. Vier mögliche Deutungen des Anwendungsproblems

Im folgenden möchte ich vier verschiedene – mehr oder weniger plausible und haltbare – Deutungen des moralphilosophischen Anwendungsproblems skizzieren. Dabei beginne ich mit dem trivialsten und vorsichtigsten Deutungsvorschlag.

Zum Anfang3.1 Das Anwendungsproblem als moraldidaktische bzw. moralpädagogische Aufgabe

Die erste Deutung des Anwendungsproblems bezieht dem zuletzt erwähnten Einwand gegenüber eine Rückzugsposition und akzeptiert die Auffassung, dass die moralisch-normative Gültigkeit einer Norm ihre Anwendbarkeit beinhalten muss. Sie lehnt sich daher an die vorsichtigere Formulierung des Anwendungsproblems an, der zufolge die Aufgabe darin besteht, die Orientierung an gültigen Präskriptionen zu erleichtern. Diese Aufgabe soll durch eine Klärung der Tätigkeit der Anwendung von Präskriptionen erreicht werden: Die Moraladressatinnen und -adressaten sollen ihre eigene Vorgehensweise beim Anwenden moralischer Präskriptionen besser verstehen und dadurch leichter praktizieren können. Diese Deutung sieht eine enge Zusammenarbeit zwischen der theoretischen Forschung bezüglich der Frage, wie die Orientierung an präskriptiven Gehalten überhaupt möglich ist, und der normativ-ethischen Aufgabe der Lösung des Anwendungsproblems vor. Ja, im Grunde wird die theoretische Arbeit einfach normativ gewendet: Sie erhält normative Bedeutung durch die Zusatzannahme, dass ein Mehr an Wissen über die Praxis der Normanwendung, des Regelfolgens bzw. allgemein der ‚Anwendung von Präskriptionen’ auch seitens der Moraladressaten die Fähigkeit zu dieser Praxis erhöht. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Tätigkeit der Normanwendung tritt sozusagen in den Dienst der Moraldidaktik und Moralpädagogik. Anwendbarkeit wird hier offenbar in dem oben als empiristisch bezeichneten Sinn verstanden: Es geht um die Minderung faktischer Hemmnisse, durch welche den moralischen Akteuren die Anwendung moralischer Präskriptionen erschwert wird.

Diese vorsichtige Deutung des Anwendungsproblems bleibt freilich in unbefriedigender Weise vage, so lange nicht die jeweils zugrunde liegende Anwendungstheorie expliziert ist. Vor allem aber erscheint sie nur insoweit plausibel, als es sich bei der Anwendung von Präskriptionen um eine ihrerseits irgendwie ‚geregelte’ Tätigkeit handelt: Hier wird das bereits angesprochene Problem der Theoretisierbarkeit der Praxis der Anwendung virulent.

Zum Anfang3.2 Das Anwendungsproblem als Problem der Begründung hinreichend situationsspezifischer Präskriptionen

Auch die zweite Deutung des Anwendungsproblems anerkennt die Richtigkeit der These, dass die moralisch-normative Gültigkeit einer Präskription ihre Anwendbarkeit einschließt. Sie zieht daraus die Konsequenz, dass das Anwendungsproblem dem Begründungsproblem nicht äußerlich sein, sondern nur als ein Teilbereich oder Teilaspekt des Begründungsproblems, des Problems der Geltungsrechtfertigung moralischer Präskriptionen, verstanden werden kann.

Im Rahmen dieser Deutung ergeben sich zwei Varianten. Die erste Variante (2a) haben wir oben bei der Auseinandersetzung mit der instrumentellen Deutung des Anwendungsbegriffs im Rahmen (partiell) konsequentialistischer Ethiken bereits kennen gelernt. Die Herstellung der Anwendbarkeit einer Präskription Px (von der Art ‚Bemühe Dich in deinem Handeln um die Herstellung bzw. Maximierung von Y!’) ist hier gleichbedeutend mit der Entfaltung ihrer instrumentell-praktischen Implikationen durch die Konkretion der Mittel, durch welche innerhalb bestimmter Handlungssituationen das durch Px aufgegebene Ziel Y erreicht werden kann. Wir waren allerdings zum Ergebnis gelangt, dass das so verstandene Anwendungsproblem kein spezifisch ethisches Problem ist, sondern ausschließlich ein Problem der Hilfsdisziplinen darstellt, die bei der Lösung konkreter Fragen der Handlungsorientierung neben der normativen Ethik einbezogen werden müssen.

Die zweite Variante (2b) ist vor allem im Rahmen deontologischer Ethiken bedeutsam. Das Anwendungsproblem wird hier als ein Spezifikationsproblem interpretiert, das aus der Offenheit und Auslegungsbedürftigkeit von moralischen Präskriptionen und der daraus sich ergebenden Möglichkeit von Pflichtenkollisionen resultiert. Zugrunde liegt hier, anders als bei der ersten Deutung, nicht ein empiristisches, sondern ein normatives Verständnis von Anwendbarkeit. Die Lösung des Anwendungsproblems besteht nicht darin, die Anwendung moralischer Präskriptionen faktisch zu ermöglichen, sondern darin, zu gewährleisten, dass diese Anwendung ihrerseits auf eine ethisch rechtfertigbare, insofern ‚richtige’ Weise vollzogen wird [Anm. 24].

Was dies für das Verständnis des moralphilosophischen Anwendungsproblems bedeutet, lässt sich vielleicht durch einen Vergleich mit dem Modell der Rechtsprechung illustrieren. Die Aufgabe der Rechtsprechung besteht darin, konkrete Streitfälle, Situationen, deren rechtliche Bewertung zwischen den Parteien strittig ist, durch die ‚Anwendung’ gegebener Rechtsnormen zu entscheiden, das heisstheißt sie diesen Normen gemäß zu regeln. Diese Aufgabe erstreckt sich auf die interpretierende Überbrückung von Auslegungsspielräumen, die aus der unvermeidlichen Offenheit der Formulierungen von Rechtsnormen resultieren, sowie gegebenenfalls auch auf die abwägende Auflösung von Normenkollisionen.

Nun ist keineswegs unstrittig, wie die Praxis der Rechtsprechung zu interpretieren ist [Anm. 25]. Im vorliegenden Zusammenhang muss ihr jedoch – wie gesagt zu Illustrationszwecken – eine Deutung gegeben werden, die folgende Punkte hervorhebt: Die richterliche Entscheidung für eine bestimmte Lesart der Rechtsnormen ist einerseits eine ‚Anwendung’ dieser Normen im Sinne einer applikativen Vermittlung zwischen Norm und Situation. Sie kann jedoch zugleich als ein Akt der Begründung angesehen werden: Gestützt auf die in der Urteilsbegründung angeführten Argumente trifft das Gericht eine Entscheidung, die zwar unmittelbar nur für den singulären Einzelfall bindend ist. Insofern diese Entscheidung aber, wie die Urteilsbegründung demonstriert, als begründungsfähig angesehen wird, muss ihr implizit zugleich eine kontexttranszendierende Gültigkeit für alle anderen gleich gelagerten Fälle zugesprochen werden. Einzig aus diesem Grund kann ein Fall zum Präzedenzfall werden [Anm. 26]. Man kann also sagen: Als ‚Anwendung’ allgemeinerer Rechtsnormen auf Einzelfälle bedeutet die richterliche Entscheidung de facto zugleich die ‚Begründung’ einer spezifischeren Norm, nämlich der Norm, dass Fälle mit den Eigenschaften Ex, y, z gemäß den Rechtsnormen N1, 2, 3 in der im Urteil ausgedrückten Weise entschieden werden sollen.

Wichtig ist noch ein weiterer Aspekt. Der Richter kann seine Entscheidungen offenbar nicht allein auf die expliziten Gehalte der rechtlichen Präskriptionen stützen. Dies wäre nur dann möglich, wenn es sich beim Rechtssystem um ein perfektes Regelsystem handeln würde, in dem gar keine Auslegungsspielräume mehr bestehen. Dass dies nicht der Fall ist, wird in ‚hard cases’, also in Fällen deutlich, in denen rechtliche Präskriptionen kollidieren. Wenn die getroffenen Entscheidungen in solchen Fällen dennoch ‚begründet‘, das heisstheißt nicht einfach kraft richterlicher Dezision ‚irgendwie’ entschieden werden sollen, muss es außer den jeweils unmittelbar ‚einschlägigen’ Präskriptionen noch irgend eine andere Art präskriptiver Orientierungspunkte geben, auf die der Richter bei seiner Suche nach einer ‚richtigen’ Rechtsentscheidung (und in seiner Urteilsbegründung) beziehen kann. Und diese präskriptiven Gehalte müssen ihrerseits offenbar der Bedingung der ‚Anwendbarkeit’ genügen.

Offensichtlich ist diese Deutung der Rechtsprechungspraxis in vieler Hinsicht problematisch. Sie basiert auf einer kruden Auffassung des Problems des Richterrechts und lässt die Komplikationen außer acht, die sich aus der institutionellen Trennung von Legislative und Judikative ergeben. Sie vernachlässigt überdies die Positivität der Rechtsgeltung und damit das irreduzibel ‚dezisionistische’ Moment jeder richterlichen Entscheidung.

Offenbar sind diese Einwände allerdings durchweg auf Spezifika der ‚Anwendung’ rechtlicher Normen bezogen. Wie ist es mit der Übertragbarkeit dieses Modells auf den Bereich der ‚Anwendung’ moralischer Normen bestellt? Wie es scheint, entfallen hier ja gerade diejenigen Komplikationen, die das oben skizzierte Modell der Normanwendung problematisch erscheinen lassen: Zunächst ist die moralische Sollgeltung – will man an einem kognitivistisch-normativen Moralbegriff festhalten – eine schlechthin überpositive Geltung, die der ‚normativen Kraft des Faktischen’ (wie beispielsweise der Faktizität einer gesetzgeberischen oder richterlichen Entscheidung) jederzeit als kritisches Korrektiv gegenübersteht. Sodann ist prima facie zumindest nicht ausgemacht, ob auch im Bereich der Moral eine funktionale oder institutionelle Trennung existiert, die derjenigen zwischen Legislative und Exekutive entspricht.

Tatsächlich sind die Vertreter der hier skizzierten zweiten Deutung des Anwendungsproblems der Ansicht, dass diese Entsprechung nicht gegeben ist. Die Orientierung an abstrakteren und allgemeineren moralischen Präskriptionen (Normen, Maximen oder mittleren Prinzipien), deren ‚Interpretation’ und gegebenenfalls ihre Abwägung im Konfliktfall ist in ihrer Deutung nur die Kehrseite einer durch die Spezifika einer bestimmten Anwendungssituation erzwungenen Begründung ‚neuer’, in höherem Maße situationsspezifischer Präskriptionen. Alle diejenigen moralischen Präskriptionen, die einen expliziten materialen Gehalt besitzen, haben dieser Deutung zufolge stets nur eine Prima-facie-Geltung; sie sind stets spezifikationsbedürftig und besitzen keine unmittelbare Handlungsverbindlichkeit; sie haben lediglich den Status normativ-moralischer Gründe im moralischen Diskurs, deren Geltung nur durch Gegengründe limitiert werden kann. Auch die Ergebnisse der ‚Anwendung’ allgemeinerer und der damit einhergehenden Begründung spezifischerer Normen bleiben daher reversibel und sind unter Umständen weiter spezifikationsbedürftig.

Klar ist auch, dass diese Deutung das ‚theoretische’ Applikationsproblem, die Frage also, wie Normen überhaupt auf Situationen ‚angewandt’ werden können, nicht zum Verschwinden bringt. Sie weist vielmehr in Richtung eines Spezifikationsprozesses, der im Prinzip als infiniter Progress verstanden werden muss – ebenso wie beispielsweise der hermeneutische Prozess der Interpretation eines historischen Dokumentes. Das wiederum hat zur Folge, dass die Frage, an welchem Punkt der Spezifikationsprozess bei der Normenbegründung (und bei der Handlungsrechtfertigung) abgebrochen werden soll, nur pragmatisch begründet werden kann. Die Analogie zum vorher skizzierten Modell der Rechtsanwendung bezieht sich auch auf die Notwendigkeit, sich bei der Entscheidung von Abwägungsfragen im Fall kollidierender Präskriptionen auf ‚andere’, höherstufige Präskriptionen zu beziehen, die ihrerseits der Bedingung der Anwendbarkeit genügen müssen. Im Rahmen deontologischer Moralphilosophie muss sich in letzter Hinsicht jede Entscheidung von ‚Anwendungsfragen’ wenigstens am Moralprinzip orientieren. Wenigstens dieses muss also in jedem Fall ‚anwendbar’ sein (die grundlegenden Unterschiede zwischen der ‚Anwendung‘ explizit materialer Normen und der ‚Anwendung’ des deontologischen Moralprinzips bedürften freilich einer genaueren Erörterung, die hier nicht zu leisten ist).

Zum Anfang3.3 Das Anwendungsproblem als Frage der Angemessenheit vorab begründeter Moralnormen

Ebenso wie in der soeben skizzierten zweiten Deutung so wird auch in der dritten das Anwendungsproblem als Folge der unvermeidlichen Abstraktheit moralischer Präskriptionen im Vergleich zur Fülle möglicher Merkmale von Anwendungssituationen interpretiert. Diese dritte Interpretation des Problems ist jedoch insofern radikaler, als das Anwendungsproblem nun nicht mehr als Teilaspekt des Begründungsproblems interpretiert und die These, dass die Gültigkeit moralischer Präskriptionen ihre Anwendbarkeit impliziere, nicht mehr anerkannt wird. Vielmehr wird charakteristischerweise ein zweiter Geltungsanspruch neben dem der Gültigkeit etabliert (z.B. Angemessenheit, Befolgungsgültigkeit), der nicht schon im Begründungsverfahren selbst eingelöst werden könne, sondern eines eigenen Prüfungsverfahrens bedürfe. Dies wird damit begründet, dass Fragen der Situationsangemessenheit von Normen strukturell anderer Natur seien als Fragen der Normgeltung. Gewissermaßen wird im Rahmen dieser Interpretation für den Bereich der Ethik eine analoge institutionelle Differenzierung postuliert, wie sie im Bereich des Rechtssystems mit der Trennung von Legislative und Judikative gegeben ist.

Auch im Rahmen dieser Deutung wird das Problem der ‚Anwendbarkeit’ jedenfalls nicht als ein faktisches Problem, sondern als ein normatives Problem verstanden – allerdings als eines, dass neben dem moralisch-normativen Problem der Normgeltung Platz finden soll.

Zum Anfang3.4 Das Anwendungsproblem als Problem der Herstellung der Anwendungsbedingungen der Ethik (oder eines Teils der Ethik)

Auch die vierte Deutung widerspricht dem oben formulierten Einwand, dass die Gültigkeit moralischer Präskriptionen ihre Anwendbarkeit impliziere, und versteht die Aufgabe, die ‚Anwendbarkeit’ moralisch-normativer Präskriptionen zu gewährleisten, als Aufgabe der Herstellung von Bedingungen, unter denen diese Präskriptionen angewandt werden können. Normative Ethik muss gemäß dieser Deutung konsequentialistische Elemente beinhalten. Sie muss nämlich versuchen, zusätzliche Präskriptionen zu formulieren, deren Anwendung zu Handlungsweisen führt, deren Ergebnis in der Herstellung von Rahmenbedingungen liegt, welche die Anwendung derjenigen Präskriptionen, die zuvor nicht anwendbar waren, ermöglichen.

Im Rahmen dieser Deutung lässt sich das Problem der ‚Anwendbarkeit’ von Präskriptionen sowohl empiristisch als auch normativ verstehen: Man kann sich vorstellen, dass bestimmte Präskriptionen aufgrund faktischer Hemmnisse ‚unanwendbar’ sind (z.B. aufgrund mangelnder Willensstärke oder Einsichtsfähigkeit der Akteure oder aufgrund äußerer Einschränkungen ihres Handlungsvermögens) und dass diese Hemmnisse durch bestimmte Strategien abgebaut werden können. Man kann sich ebenso vorstellen, dass diese Präskriptionen aus normativen Gründen (das heisstheißt aufgrund einer Kollision mit anderen Präskriptionen) ‚unanwendbar’ (d.h. unzumutbar, unverantwortlich, unangemessen etc.) sind und die Situationsumstände (durch Maßnahmen, die durch keine der beiden kollidierenden Präskriptionen bereits geboten sind) so verändert werden können, dass diese Kollisionen nicht mehr auftreten. (Natürlich bestehen diese beiden Vorstellungsmöglichkeiten nur, solange man die Abtrennung der Frage der Anwendbarkeit moralischer Präskriptionen von der Frage ihrer Gültigkeit mit zu vollziehen bereit ist.) Es ist auch durchaus denkbar, im Rahmen dieser Deutung des Anwendungsproblems beide Aspekte zu verbinden und Präskriptionen sowohl für die Herstellung der ‚faktischen’ als auch der ‚normativen’ Anwendbarkeit anderer Präskriptionen zu formulieren.

In jedem Fall wird eine ethische Konzeption, die dieser Deutung verpflichtet ist, aus zwei Teilen bestehen: Der eine Teil umfasst die Präskriptionen1, deren Anwendbarkeit sichergestellt werden muss, der andere Teil diejenigen Präskriptionen2, welche die Herstellung der Anwendbarkeit der Präskriptionen1 gewährleisten sollen. Während die Präskriptionen2 offenbar konsequentialistisch sind, können die Präskriptionen1 auch nicht-konsequentialistischer Art sein. Ob die Grenze zwischen diesen beiden Teilen ‚starr’ verläuft, oder ob sie relativ ist (so dass auch eine Präskription Px, die der Herstellung der Anwendbarkeit einer anderen Präskription Py dient, ihrerseits ‚unanwendbar’ werden und einer dritten Präskription Pz bedürfen könnte, welche allererst die Anwendbarkeit von Px sicherstellt, wodurch Px sowohl – relativ auf Py – als Präskription2 als auch – relativ auf Pz – als Präskription1 anzusehen wäre), kann hier offen bleiben.

Klar ist hingegen, dass dasjenige Ziel, dem die Präskriptionen2 verpflichtet sind, niemals in der Herstellung der Anwendbarkeit einer normativ-ethischen Konzeption insgesamt, sondern immer nur in der Herstellung der Anwendbarkeit eines Teils ihrer Präskriptionen liegen kann, da sich anderenfalls die Diagnose der Unanwendbarkeit auch auf alle Präskriptionen2 beziehen müsste, während gar keine ‚anwendbaren’ Präskriptionen mehr zur Verfügung stünden, die Ethik also gar keinen Orientierungswert mehr aufweisen würde.


Zum Anfang4. Ausblick

Die vorigen Ausführungen sind zweifellos zum großen Teil trivial; auch mögen sie aufgrund ihrer sehr allgemeinen Anlage als für die Untersuchung der diskursethischen Diskussion wenig relevant erscheinen. Zudem ist es sicher ein Mangel, dass die historischen Wurzeln der Diskussion über ‚Anwendungsprobleme’ in deontologischen Prinzipienethiken – man denke beispielsweise nur an Hegels Kantkritik, Schelers Formalismusvorwurf, Webers Unterscheidung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik oder McDowells wittgensteinianisch geprägte Kritik an Prinzipienethiken überhaupt [Anm. 27] – im Rahmen dieser abstrakt typisierenden Auseinandersetzung keine Beachtung gefunden haben. Sie hätte aber ihr Ziel erreicht, wenn sie es vermöchte, einige Implikationen – d.h. vor allem einige der ‚Kosten’ – deutlicher hervortreten zu lassen, die mit verschiedenen Vorschlägen zum Verständnis und zur Lösung des Anwendungsproblems in der Diskursethik verbunden sind. Wie gesagt kann ich in diesem Rahmen eine detaillierte Auseinandersetzung mit diesen Vorschlägen nicht leisten. Ein paar vorläufige und höchst unvollständige Bemerkungen möchte ich hier aber noch anfügen.

Eine von den meisten Vertreterinnen und Vertretern der Diskursethik akzeptierte Interpretation des Anwendungsproblems lehnt sich an die dritte Deutung an. Einschlägig ist hier die detaillierte Ausarbeitung dieses Verständnisses durch Klaus Günther [Anm. 28]. Die Problematik seiner Konzeption liegt in der Nebenordnung zweier normativ-moralischer Geltungsansprüche: Der Gültigkeit moralischer Normen wird ein zweiter normativ-moralischer Geltungsanspruch, der der Angemessenheit, zur Seite gestellt. Dies birgt die Gefahr einer Auflösung des mit deontologischen Prinzipienethiken verbundenen universalistischen Sollensanspruchs. Dieser Gefahr sucht Günther dadurch zu begegnen, dass er beide Geltungsansprüche auf ein und dasselbe Moralprinzip bezieht [Anm. 29]. Daraus resultiert jedoch eine Schwierigkeit, die Differenz der beiden Geltungsansprüche überhaupt noch plausibel zu machen. Eine entsprechende Kritik muss meines Erachtens vor allem an zwei Punkten einsetzen: Erstens stützt Günther seine Unterscheidung dieser Geltungsansprüche auf eine sogenannten ‚schwächere’ Lesart des Universalisierungsprinzips (‚U’) [Anm. 30], die meines Erachtens gar nicht konsistent zu formulieren bzw. nicht in plausibler Weise von der vermeintlich ‚stärkeren’ Lesart zu unterscheiden ist. Der Unterschied zwischen beiden Interpretationen soll Günther zufolge darin bestehen, dass im Rahmen der schwächeren Deutung in Diskursen, die der Begründung ethischer Normen dienen, idealerweise ‚nur’ alle Merkmale einer bestimmten Anwendungssituation berücksichtigt werden sollen, während die stärkere Deutung – wiederum natürlich nur idealiter – die Berücksichtung aller Merkmale aller möglichen Anwendungssituationen verlangt.

Günther scheint jedoch zu übersehen, dass der "Mikrokosmos einer jeden einzelnen Situation" nicht nur "ebenso unendlich" ist "wie der Makrokosmos aller Situationen, in denen eine Norm anwendbar ist"[Anm. 31], sondern dass die beiden Kosmoi überdies (ähnlich wie im Weltbild der Renaissance) unmittelbar korrespondieren. Die Berücksichtigung eines ‚Merkmals einer Situation’ ist nämlich in gewisser Weise gleichbedeutend mit der Abgrenzung dieser Situation von anderen Situationen. Wäre daher die Aufgabe geleistet, alle Merkmale einer Situation zu erfassen, so wäre diese eine Situation tatsächlich von allen (qualitativ) anderen Situationen eindeutig unterschieden und die fragliche Moralnorm könnte in einer Weise begründet werden, die sie strictu sensu universell anwendbar machen würde, da durch ihre expliziten Anwendungskriterien sichergestellt wäre, dass sie nur in strikt qualitativ identischen Situationen Anwendung fände. Die vermeintlich bescheidenere Strategie, sich im Rahmen von Begründungsdiskursen ‚nur’ auf ‚eine’ Situation zu beziehen, lässt sich also gar nicht gegen die vermeintlich vermessenere Strategie ausspielen, die sich in Wahrheit nur dadurch von jener unterscheidet, dass sie die – aus hermeneutischen Gründen unvermeidbare – Notwendigkeit des (wenigstens impliziten) Vergleichs der vorliegenden Situation mit anderen Anwendungssituationen eingesteht.

Diesem Einwand korrespondiert ein weiteres Problem, auf das sowohl Günther Alexy als auch Matthias Kettner bereits aufmerksam gemacht haben [Anm. 32]. Sie bestreiten die Möglichkeit einer hinreichenden Differenzierung zwischen Begründungs- und Anwendungsdiskursen. So mögen wir sagen, dass wir einen Diskurs über die Anwendbarkeit der Normen N1 oder N2 in der Situation S1 führen. Das Ergebnis dieses Diskurses muss sich aber wenigstens implizit als die Begründung einer neuen und spezifischeren Norm N3 verstehen lassen, welche etwa die Form haben könnte: "In der Situation S1, die durch die relevanten Situationsmerkmale M1-x gekennzeichnet ist, sollst Du gemäß der durch Norm N1 gebotenen Handlungsweise handeln, in der Situation S2 gemäß der Handlungsweise, die Norm N2 vorschreibt!" Und von dieser Norm N3 müsste dann wiederum – bis auf weiteres – unterstellt werden, dass sie in allen Situationen gilt, die in allen relevanten Merkmalen mit S1 oder S2 übereinstimmen.

Diese Position vertreten auch die radikalen Kritiker der Rede von ‚Anwendungsproblemen’ Peter Ulrich und Ulrich Thielemann. Die aus ihrer Sicht naheliegende Alternative dürfte in der Nähe der oben skizzierten zweiten Deutung des Anwendungsproblems als eines Problems der Normenrevision und Normenspezifikation im Rahmen nicht von ‚Anwendungs-‘, sondern von problemspezifischen Begründungsdiskursen liegen. Diese Deutung scheint auch mir die einzig haltbare. Sie ist jedoch einigem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt. Zum einen muss sie sich hermeneutischer Angriffe erwehren, wie sie zum Beispiel von Rüdiger Bubner und Albrecht Wellmer ausgeführt worden sind [Anm. 33] – Angriffe, die für die Ausarbeitung der Konzeption Klaus Günthers und die damit zusammenhängende Revision früherer Überzeugungen durch Jürgen Habermas gerade maßgeblich waren. Zum anderen muss sie überzeugend demonstrieren, dass sie dem in Anlehnung an Webers Kantkritik vor allem von Karl-Otto Apel erhobenen Vorwurf des ‚gesinnungsethischen Rigorismus’ und ‚Utopismus’ zu entgehen vermag [Anm. 34].

Diesen Einwand richtet Apel bekanntlich auch noch gegen Habermas, da er dessen von Günther entlehnte Konzeption einer in Anwendungsdiskursen zu vollziehenden Angemessenheitsprüfung vorab begründeter Normen zwar für plausibel, aber nicht für hinreichend hält. Das von Apel geltend gemachte Problem liegt in der normativ-moralischen Schwierigkeit, die Befolgung von Normen, die im Falle ihrer allgemeinen Befolgung aus der Perspektive aller diskursiv akzeptabel (und daher in diskursethischer Lesart ‚gültig’) sind, von den Moraladressaten auch in Situationen einzufordern, in denen die allgemeine faktische Akzeptanz dieser Normen gerade nicht gesichert ist. In solchen Fällen die Befolgung moralisch gültiger Normen einzufordern, sei vielfach unverantwortlich bzw. unzumutbar; daher sei Habermas’ Vorschlag für ‚U’ keine hinreichende Formulierung des Moralprinzips. Apel formuliert:

"Auf der Ebene des argumentativen Diskurses, der […] in eigentümlicher Weise vom geschichtlich-irreversiblen Handeln des Menschen entlastet ist, kann die von Habermas vorgeschlagene Formel [für ein diskursethisches Universalisierungsprinzip] aufgrund ihrer Berücksichtigung der ‚Folgen und Nebenwirkungen der allgemeinen Befolgung von Normen’ in der Tat als ideales Prinzip einer Verantwortungsethik gelten; nicht so dagegen auf der Ebene der geschichtsbezogenen Anwendung dieses Prinzips. Hier verwandelt sich die Vorstellung der umstandslosen Anwendung vielmehr in die zynische Zumutung einer reinen »Gesinnungsethik« im Sinne von Max Weber."[Anm. 35]

Habermas selbst hat diese Kritik in gewisser Weise akzeptiert und die ‚Unzumutbarkeit’ moralischer Normen in Situationen fehlender Befolgungsreversibilität eingeräumt:

"Im Lichte des Moralprinzips werden Normen nur unter der (in ›U‹ explizit genannten) Voraussetzung einer Praxis allgemeiner Normbefolgung als gültig ausgezeichnet. Wenn diese Bedingung nicht erfüllt ist, sind Normen unangesehen ihrer Gültigkeit nicht zumutbar."[Anm. 36] "Nach Maßgabe einer Vernunftmoral prüfen ja die Einzelnen die Gültigkeit von Normen unter der Voraussetzung, dass diese faktisch von jedermann befolgt werden. Wenn aber genau diejenigen Normen gültig sein sollen, die unter der Bedingung einer Praxis allgemeiner Normbefolgung die rational motivierte Zustimmung aller Betroffenen verdienen, ist niemandem zuzumuten, sich an gültige Normen zu halten, sofern nicht die genannte Bedingung erfüllt ist. […] Gültige Normen sind nur dann zumutbar, wenn sie gegen abweichendes Verhalten faktisch durchgesetzt werden können."[Anm. 37]

Was die Problembeschreibung anbetrifft, sind sich Habermas und Apel in diesem Punkt also weitgehend einig. Für Habermas steht jedoch das Zumutbarkeitsproblem außerhalb der Ethik; er verschiebt es sozusagen "von der Moral- zur Rechtstheorie"[Anm. 38]: Der Rechtsstaat soll, kraft seiner Sanktionsmöglichkeiten, die Allgemeine Befolgung (auch) moralischer Grundnormen durchsetzen und sie dadurch allererst für die Adressaten zumutbar machen. Apel hingegen kritisiert – meines Erachtens zu Recht – diese Nebenordnung von Recht und Moral, da sie seiner Ansicht nach die Möglichkeit einer normativ-moralischen Rechtfertigung des Rechtsstaates (und zum Beispiel auch des Rechtszwangs) verbaut [Anm. 39]. Seine Lösung des Problems geht in Richtung der vierten Deutung – bzw. in Richtung einer Kombination der dritten und vierten Deutung – des Anwendungsproblems. Er stellt dem in Anlehnung an Habermas gewonnenen Universalisierungsprinzip ein weiteres moralisch-normatives Begründungsprinzip, das sogenannte Ergänzungsprinzip, zur Seite, das den Moraladressaten die Mitarbeit an der Bewahrung und Herstellung von Bedingungen auferlegt, unter denen die gemäß ‚U’ begründbaren Normen ‚zumutbar’ werden. Dieses ‚moralisch-strategische’ Ergänzungsprinzip ‚E’ tritt wiederum gemäß der "dialektischen Konstellation im Apriori der Kommunikationsbedingungen"[Anm. 40] in zwei Momente auseinander: In das ‚Bewahrungsprinzip’ (der Sorge um den Bestand der realen Kommunikationsgemeinschaft) einerseits und das ‚Emanzipationsprinzip’ (der Bemühung um die infinite Annäherung an die ideale Kommunikationsgemeinschaft) andererseits [Anm. 41].

Diese Konzeption ist zu Recht vielfach kritisiert worden [Anm. 42]. Offensichtlich unhaltbar ist jedenfalls Apels unbedachte Rede von der Notwendigkeit, die Diskursethik müsse für die Herstellung ihrer eigenen Anwendungsbedingungen Sorge tragen [Anm. 43] – denn ‚die’ Diskursethik, das heisstheißt ein Teil ihrer Präskriptionen muss ja offenbar schon ‚anwendbar’ sein, um für irgend etwas Sorge tragen zu können. Aber auch die korrektere Interpretation, wonach das eine Prinzip (das Ergänzungsprinzip) für die Anwendbarkeit des anderen (des Universalisierungsprinzips) sorgen muss, wirft Probleme auf, da, wie vor allem Gerhard Schönrich hervorhebt, bei einer Konkurrenz von ‚E’ und ‚U’ unklar ist, auf welcher Grundlage jeweils zu klären ist, welches der beiden Prinzipien in einer bestimmten Situation ‚anwendbar’ ist. Diesem Problem sucht eine Interpretation Apels Rechnung zu tragen, die das Diskursprinzip als höherstufiges Prinzip über dem ‚U’ und ‚E’ ansiedelt und ihm insofern den Status des ‚eigentlichen’ Moralprinzips zuweist.

Diese Deutung bleibt meines Erachtens jedoch insofern problematisch, als die Rechtfertigbarkeit von an ‚E’ orientierten Handlungsweisen nicht anders denn wiederum in Form des Nachweises ihrer Universalisierbarkeit gedacht werden kann. Wenn man nämlich die von Hare hervorgehobene kategoriale Differenz zwischen dem Spezifikationsgrad von Normen (generell oder spezifisch) und ihrer Universalisierbarkeit (universell oder singulär) berücksichtigt [Anm. 44] wird klar, dass situationsspezifische Normen, die insofern als ‚Ausnahmen’ von einer generellen Regel aufzufassen sind, durchaus dennoch universalisierbar sein können (z.B.: "In allen Situationen, welche die in dem zwischen Constant und Kant umstrittenen Lügner-Beispiel beschriebenen Merkmale aufweisen, ist es moralisch legitim, zum Schutz des unschuldig Verfolgten die Unwahrheit zu sagen!"). Insofern ist gar nicht zu sehen, aus welchen Gründen solche Normen von dem in einem ethischen Universalisierungsprinzip formulierten Begründungsanspruch exkludiert werden sollten oder dürften.

Aufgrund der hier nur grob umrissenen Schwierigkeiten der teilweise sehr komplexen und subtilen mehrstufigen Anwendungskonzeptionen spricht meines Erachtens vieles dafür, es noch einmal mit dem um einiges schlichteren Modell zu versuchen, das in der zweiten Deutung des Anwendungsproblems skizziert worden ist. Freilich wird keine Interpretation des moralphilosophischen Anwendungsproblems die faktischen Schwierigkeiten aus der Welt schaffen können, die sich dem Versuch, normativ-ethisches Orientierungswissen für die Gestaltung und Veränderung gesellschaftlicher Praxis nutzbar zu machen, entgegenstellen. Der Versuch, diese Probleme zunächst einmal richtig zu verstehen, könnte aber für die Suche nach den Lösungsvorschlägen von Nutzen sein.



Zum AnfangAnmerkungen

[Anm. 1]: Oder jedenfalls bis vor kurzem schien - seit auch Vertreter der Transzendentalpragmatik wie Marcel Niquet Zweifel an der Möglichkeit einer Letztbegründung der Ethik äußern, sind die Frontverläufe auch in diesem Feld nicht mehr so eindeutig.

[Anm. 2]: Vgl. u.a. Apel 1973; ders. 1988; Böhler 1992; ders. 1998; Cortina 1992; dies. 1997; Gronke 1993; Kettner 1992a; ders. 1997; Kuhlmann 1985, S. 181 ff.; ders. 1994b; Niquet 1996.

[Anm. 3]: Vgl. u.a. Alexy 1995; Günther 1988; Habermas 1983; ders. 1991; ders. 1992; Ott 1996; Gottschalk 1999; Wingert 1993.

[Anm. 4]: Vgl. Ulrich 1986; ders. 1997b; ders. 1997a; Thielemann 1994; ders. 1997.

[Anm. 5]: Vgl. u. v. a. Ulrich 1997b, S. 101; ders. 1996; Thielemann 1997, S. 271.

[Anm. 6]: Thielemann 1997, S. 271, Anm. 302.

[Anm. 7]: Diese grundlegende Differenz im Sinn der praktischen Fragestellung ist erstmals von Kant in aller Schärfe herausgearbeitet worden; vgl. seine Unterscheidung zwischen dem technischen, dem pragmatischen und dem moralischen Sinn der praktischen Frage (vgl. u.a. Kant 1968/1785, S. 416 f.), die sich mit Habermas' (terminologisch eigenwilliger) Differenzierung zwischen dem "pragmatischen, ethischen und moralischen Gebrauch der praktischen Vernunft" weitgehend deckt (vgl. Habermas 1991d): Technische (in Habermas' Diktion: pragmatische) Überlegungen beziehen sich auf die zweckrationale Optimierung des Mitteleinsatzes bei gegebenen Handlungszielen; pragmatische (in Habermas' Diktion: ethische) Überlegungen dienen der teleologisch-ethischen Selbstverständigung von Personen oder Gemeinschaften im Hinblick auf das eudaimonistische Ziel eines guten Lebens; moralische (bei Kant auch ‚rational-', d.h. normativ-ethische) Überlegungen beziehen sich auf kategorisch gebotene Sollensnormen im Rahmen einer deontologischen Moralphilosophie.

[Anm. 8]: Steigleder 1999, S. 18; vgl. ebd. S. 20 u. 22.

[Anm. 9]: Vgl. Seneca 1999, IV, S. 32 [Ep. mor. ad Lucilium 71, 20].

[Anm. 10]: Vgl. Wimmer 1980, S. 170.

[Anm. 11]: Eine normativ-ethische Konzeption, die diese Möglichkeit nicht vorsieht, ist im Sinne Webers als ‚gesinnungsethisch' zu bezeichnen.

[Anm. 12]: Vgl. Kuhlmann 1985, S. 186.

[Anm. 13]: Ulrich 1997b, S. 101.

[Anm. 14]: Ich orientiere mich bei der Verwendung der Begriffe ‚konsequentialistisch', ‚teleologisch' und ‚deontologisch' an der Terminologie Nida-Rümelins (Nida-Rümelin 1993, v. a. S. 63 ff., 86 f.). Danach handelt es sich bei den Begriffen ‚deontologisch' und ‚teleologisch' um einander strikt ausschließende Charakterisierungen ethischer Theorien. Hingegen können deontologische Ethiken zugleich (partiell) ‚konsequentialistisch' sein, d.h. die Forderung nach der Maximierung von Werten beinhalten. Dies wäre etwa bei Apels Diskursethik der Fall, deren Teil B demnach nicht als ‚teleologische', sondern als ‚konsequentialistische' Ergänzung bezeichnet werden müßte; vgl. zur Begrifflichkeit auch Werner 1999a.

[Anm. 15]: Kant 1968/1785, S. 414 ff.

[Anm. 16]: Vgl. u.v.a. Tugendhat 1993, S. 44 f.

[Anm. 17]: Hartmann und Janich 1996, S. 56.

[Anm. 18]: Dass sich für alle Versuche, die Kerngehalte einer kantianisch interpretierten Moral auf instrumentalistischer Basis zu begründen (wie dies z.B. Tugendhat und die ‚methodischen Kulturalisten' versuchen) ernste Schwierigkeiten ergeben, ist kaum überraschend; vgl. Tugendhats eigene Bemerkungen in Tugendhat 1997, u.a. S. 46 ff.

[Anm. 19]: eine Schwierigkeit, die wiederum der ‚Instrumentalist' Tugendhat selbst thematisiert hat; vgl. Tugendhat 1984, S. 4; zur Naturalismuskritik vgl. klassisch Moore 1994/1903.

[Anm. 20]: V.a. ausgehend von Aristoteles 1991.

[Anm. 21]: V.a. ausgehend von Gadamer 1960 .

[Anm. 22]: V.a. ausgehend von Wittgenstein 1984/1953.

[Anm. 23]: Wie der Begriff eines ‚Anwendungsproblems' scheint mir auch der Begriff der ‚angewandten Ethik' problematisch; meines Erachtens sollte man besser - mit einem inzwischen ebenfalls gebräuchlichen Begriff (vgl. Nida-Rümelin 1996) - von ‚bereichsspezifischer Ethik' sprechen; zur Problematik des Konzepts angewandter Ethik vgl. u.a. Kettner 1992b; Ott 1996a.

[Anm. 24]: Bei dieser ‚Richtigkeit' der Anwendung moralischer Präskriptionen kann es sich also nicht um eine bloße Regel-Richtigkeit bei der Anwendung der jeweiligen Präskriptionen handeln: Nicht jede (im Sinne der Regel-Richtigkeit) ‚richtige' Ausführung einer moralischen Präskription, nicht eine Handlung also, durch die genau dasjenige getan wird, was die Regel fordert, ist schon im Sinne ethischer Rechtfertigbarkeit ‚richtig'; zu den verschiedenen Bedeutungen des Begriffs ‚richtig' vgl. Werner 1999b.

[Anm. 25]: In diskurstheoretischem Zusammenhang ist hier v.a. an den Dissens zwischen Günther und Alexy zu erinnern; vgl. Günther 1988; ders. 1989; ders. 1993; Alexy 1995a.

[Anm. 26]: "So wie die kausale Interpretation singulärer Ereignisse eine unbestimmte Anweisung enthält auf eine kausale Regelmäßigkeit, so enthält der normativ verstandene Präzedenzfall eine implizite Norm. Beide [...] enthalten eine implizite Regel der Gleichbehandlung gleicher Fälle; sie schränken die Freiheit der kausalen oder normativen Interpretation für zukünftige Fälle ein." Wellmer 1986, S. 16.

[Anm. 27]: Vgl. Hegel 1972/1821; Scheler 1927/1913; Weber 1988b; McDowell 1981/ 1979.

[Anm. 28]: Vgl. v. a. Günther 1988.

[Anm. 29]: Als diskursethisches Moralprinzip nimmt Günther den von Habermas in verschiedenen Varianten formulierten Universalisierungsgrundsatz in Anspruch. Habermas' jüngste Fassung lautet: "Der Universalisierungsgrundsatz ›U‹ [...] besagt, [...] dass eine Norm genau dann gültig ist, wenn die voraussichtlichen Folgen und Nebenwirkungen, die sich aus ihrer allgemeinen Befolgung für die Interessenlagen und Wertorientierungen eines jeden voraussichtlich ergeben, von allen Betroffenen gemeinsam zwanglos akzeptiert werden können." Habermas 1996a, S. 60; vgl. die älteren Versionen in Habermas 1983a, S. 103; ders. 1983, S. 131; ders. 1991a, S. 12; ders. 1991b, S. 42 f.; ders. 1991c, S. 96; ders. 1991e, S. 134. Der Klarheit halber ist allerdings hinzuzufügen, dass ‚U' insofern nicht mit Moralprinzipien z.B. von der Art des Kantischen Kategorischen Imperativs vergleichbar ist, als ‚U' nicht als unmittelbar verbindliches Handlungsprinzip ("Handle so...") sondern nur als Metakriterium zur Prüfung der Normgültigkeit formuliert ist ("Eine Norm ist gültig, wenn..."). Auch Habermas selbst spricht jedoch von ‚U' als vom Moralprinzip bzw. Moralgrundsatz. Eine weitergehende Kritik an dem zweifellos prominentesten Vorschlag eines diskursethischen Moralprinzips kann hier aus Platzgründen nicht geleistet werden, für eine haltbare Rekonstruktion der Anwendungskontroverse in der Diskursethik wäre sie unverzichtbar.

[Anm. 30]: Vgl. Günther 1988, S. 45 ff.

[Anm. 31]: Günther 1988, S. 58.

[Anm. 32]: Vgl. Alexy 1995a; Kettner 1993.

[Anm. 33]: Vgl. Bubner 1984a, S. 258 ff.; Bubner 1984b; Wellmer 1986, S. 51 ff.

[Anm. 34]: Vgl. u.v.a. Apel 1988b, S. 296, 302.

[Anm. 35]: Apel 1988a, S. 127.

[Anm. 36]: Habermas 1991e, S. 199.

[Anm. 37]: Ders. 1992, S. 148.

[Anm. 38]: Ders. 1991e, S. 198.

[Anm. 39]: Vgl. Apel 1998a.

[Anm. 40]: Apel 1988a, S. 142.

[Anm. 41]: Vgl. Apel 1990, S. 34.

[Anm. 42]: Vgl. Bienfait 1999, S. 195 ff.; Böhler 1992, S. 206, 216 ff.; Habermas 1991e, S. 195; Keuth 1993, S. 254 ff.; Ott 1997, S. 309 ff.; Ott 1996a, S. 80 ff.; Reese-Schäfer 1997, S. 88 ff.; Schönrich 1994, u.a. S. 95 ff.; Thielemann 1997, S. 271 f.; Ulrich 1997b, S. 89 ff., 97 ff.

[Anm. 43]: Vgl. Apel 1988b, S. 295, 299.

[Anm. 44]: Vgl. Hare 1974/1954; ders. 1983b, 52 ff.; ders. 1983a 21 ff.



Zum AnfangLiteratur

Alexy, Robert (1995a): Normenbegründung und Normanwendung. In: Alexy, Robert: Recht, Vernunft, Diskurs: Studien zur Rechtsphilosophie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 52-70 (erstmals 1993).

Alexy, Robert (1995b): Recht, Vernunft, Diskurs: Studien zur Rechtsphilosophie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Apel, Karl-Otto (1973): Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft und die Grundlagen der Ethik: Zum Problem einer rationalen Begründung der Ethik im Zeitalter der Wissenschaft. In: Ders.: Transformation der Philosophie. Band II: Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 358-435 (erstmals 1972).

Apel, Karl-Otto (1988a): Diskurs und Verantwortung: Das Problem des Übergangs zur postkonventionellen Moral. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Apel, Karl-Otto (1988b): Diskursethik als Verantwortungsethik und das Problem der ökonomischen Rationalität. In: Ders.: Diskurs und Verantwortung: Das Problem des Übergangs zur postkonventionellen Moral. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 270-305.

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